10. Mai 2024
Kathrin Pokorny-Nagel, Leitung MAK Bibliothek und Kunstblättersammlung/Archiv
10. Mai 2024
Kathrin Pokorny-Nagel, Leitung MAK Bibliothek und Kunstblättersammlung/Archiv
30 Jahre nach ihrem Tod erfährt das Werk der vielseitigen Künstlerin My Ullmann in der Ausstellung MY ULLMANN. Bilder, Bühne, Kunst am Bau eine späte Würdigung. Umfassenden Recherchen ist es zu verdanken, dass erstmals ein Gesamtbild zu ihrem beeindruckenden Œuvre vorliegt. Kathrin Pokorny-Nagel, Kuratorin der Ausstellung und Leiterin der MAK Bibliothek und Kunstblättersammlung/Archiv, gibt Einblick in die reizvolle Spurensuche nach My Ullmann.
Es sind nicht nur das (kunsthistorische) Interesse oder der Bildungsauftrag, die uns Ausstellungsmacher*innen anspornen, Nachlässe aufzustöbern, Biografien nachzuzeichnen und daraus Projekte zu kreieren, deren Attraktivität vor allem im Entdecken kostbarer Funde und Zeigen verborgener Schätze liegt. Es sind schlicht und einfach die im Menschen zutiefst verwurzelte Neugierde und das wunderbare Gefühl, das entsteht, wenn aus scheinbar leblosen Objekten ein*e bereits verstorbener*e Künstler*in, in gewisser Weise zum Leben erweckt wird. Je weniger unmittelbar greifbar, desto höher wird das Verlangen doch etwas zu entdecken.
So verhielt es sich auch bei My Ullmann. Just in dem Moment, als ich vom Allgemeinen Künstlerlexikon gebeten wurde, einen biografischen Eintrag über die in Wien geborene My Ullmann zu verfassen, wurde meine deutsche Kollegin Barbara Stark auf die in Konstanz verstorbene Künstlerin aufmerksam – durch eines ihrer Bilder, „einer seltsamen Mischung von Kubismus, Futurismus und Orphismus“.
Der nun im MAK eröffneten Ausstellung MY ULLMANN. Gelebter Kinetismus: Bilder, Bühne, Kunst am Bau geht – wie so oft – eine spannende Spurensuche nach einer Künstlerin voran, deren Leben von zahlreichen Orts-, Berufs- und Namenswechseln geprägt war.
Ausgangspunkt fast aller Recherchen heute ist die wunderbare Onlinedatenbank ANNO, die es ermöglicht, in tausenden alten Zeitschriften nach Schlagworten, Namen und Begriffen zu suchen. Klingt einfach – ist es aber nicht. Schon gar nicht, wenn jemand Ullmann heißt – und derer gibt es mehr als man ahnt, und wenn „meine Ullmann“ im Laufe ihres Lebens ständig Namenswechsel zwischen Maria Ullmann, My oder nur Ullmann vollzog. Dennoch konnten wertvolle Hinweise auf Ausstellungsbeteiligungen, die Ullmann in ein künstlerisches Umfeld und ihr Netzwerk einordnen ließ, gefunden werden. Parallel erfolgte die Recherche im Österreichischen Verbundkatalog, der sämtliche bisher erschienene Katalogbeiträge über Ullmann listete und mit den Ergebnissen in ANNO die erste vollständige Bibliographie zu ihr entstehen ließ. Der nächste Weg führte mich in das reiche Archiv des B.Ö.G. (Bund österreichischer Gebrauchsgrafiker*innen), das in Design Austria bewahrt wird, und mir den Beleg lieferte, dass sich My Ullmann als eine der ersten weiblichen Mitglieder dort einschrieb und sich – zumindest vorübergehend – als Werbegrafikerin verstand, auch wenn heute nur noch wenige ihrer ephemeren Arbeiten überliefert sind (Severin Filek, der Geschäftsführer von Design Austria, ist für die Recherche im Archiv zu danken).
Ein besonderer Schatz eröffnete sich dann in den Sammlungen der Universität für angewandte Kunst (wie so oft war Silvia Herkt von der Kunstsammlung und Archiv der Universität für angewandte Kunst besonders hilfreich). Dort liegen in hunderten Mappen ordentlich zusammengeführt Zeugnisse, Korrespondenzen, Fotos und manchmal sogar originale Arbeiten so gut wie aller Schüler*innen der Kunstgewerbeschule. Eine Fundgrube an großteils unpublizierten Informationen, die das Bild einer unbekannten oder im Falle Ullmann schwer greifbaren Person sehr eindrucksvoll entstehen lassen. Sind Zeugnisse nicht oft das, was viele zu verbergen/vergessen versuchen und geben nicht gerade diese viel von Interessen, Fähigkeiten und Charaktereigenschaften preis? Demnach fand sich dort, dass Ullmann „aussergewöhnlich begabt“ war und laut ihren Professoren Franz Cizek und Eugen Steinhof „starke ornamentale und koloristische Begabung“ hatte. Dennoch beantragte letzterer 1925 ihren Ausschluss, denn Ullmann sei „für eine schulmäßige Ausbildung ungeeignet. Ihre nervöse Veranlagung führt trotz aller Versprechungen gesammelter Haltung immer wieder aufs Neue zu Konflikten störendster Art, unter denen die anderen Studierenden und der gesamte Unterrichtsbetrieb zu leiden“ habe. Derartige intime Einblicke in eine Persönlichkeit gewähren normalerweise nur Briefe oder Tagebücher. Diese waren jedoch nicht greifbar, da vom Nachlass My Ullmanns jede Spur fehlte. Jetzt wo es wirklich interessant wird, wenn es darum geht die Künstlerin als Person zu fassen, versiegten die Quellen. Einzig ein Hinweis von Ulrike Matzer in einem 2007 erschienenen Katalog, worin diese von einem Gespräch mit der Tochter der Künstlerin schreibt, sollte der Schlüssel zum Erfolg werden.
Diesen Schlüssel hat meine geschätzte Kollegin Barbara Stark gefunden, Direktorin der Städtischen Wessenberg Galerie in Konstanz, die ihre Spurensuche anschaulich schilderte:
„Also erstmal ins Internet geschaut, das gab zu Ullmann nicht viel her, es existierte noch nicht einmal eine Wikipedia Eintrag. Doch wie wir feststellten: Ullmann war in der Wiener Kunstszene Anfang der 1920er-Jahre eine wichtige Figur gewesen, neben Erika Giovanna Klien und Elisabeth Karlinsky zählte sie zu den herausragenden Vertreterinnen des sogenannten Kinetismus…. Zwei Kataloge gab es zum Kinetismus, die wurden sogleich besorgt. Während Kliens Leben und Werk aufgearbeitet wurde, fragte niemand nach My Ullmann. Offensichtlich erschwerte ihr rastloses, von zahlreichen Ortswechseln bestimmtes Leben die Suche. In einem Katalog von 2007 erschien ein Artikel von Ulrike Matzer zu My Ullmann. Ihr war es gelungen, Ullmanns Tochter ausfindig zu machen und zu deren Mutter zu befragen. Dabei konnte manche biografische Lücke geschlossen werden und auch Teile ihres nach 1930 entstandenen Werkes erfuhren darin eine erste Erwähnung und Würdigung. Dabei sollte es die nächsten 15 Jahre bleiben. Damit hatten wir einen konkreten Anhaltspunkt, die Suche nach Ullmanns Tochter und einer jungen Frau, die Ullmann Anfang der 1990er-Jahre in Konstanz im Rahmen eines Sozialpraktikums gepflegt hatte, begann. Wie man da sucht? Nun, es gibt im öffentlichen Dienst die Zauberformel „Bitte um Amtshilfe“. Mit diesem Anliegen kann man sich an Einwohnermeldeämter, Stadtarchive und Standesämter wenden. Aber wir hatten Pech: Immer, wenn wir uns kurz vor dem Ziel wähnten, erlebten wir wieder eine Niederlage.
Wir machten Ullmanns Tochter ausfindig – aber sie war vier Wochen zuvor gestorben. Eine Anfrage beim Standesamt Mittenwald, wo Ullmann nach dem Zweiten Weltkrieg gelebt hatte, erbrachte jedoch eine neue heiße Spur. Es stellte sich heraus, dass Ullmann auch einen Sohn aus einer zweiten Ehe hat, und diesen konnten wir finden und kontaktieren. Tut mir leid, meinte er jedoch in einem Telefonat, ich hatte seit meinem 18. Lebensjahr keinen Kontakt mehr zu meiner Mutter, ich kann ihnen nicht viel sagen, aber meine Nichten können vielleicht weiterhelfen. Also wurden diese Nichten angeschrieben und damit hatten wir den Schlüssel zum Sesam-öffne-Dich gefunden. Auf meine Anfrage erhielt ich ein drei Seiten langes Mail, das nur so von Geschichten über My Ullmann sprudelte. Endlich wurde die Künstlerin auch als Mensch greifbarer. Auf meine Frage, ob sie noch Werke ihrer Großmutter und dokumentarisches Material besäßen, wiegelten die Enkelinnen ab. Nein, da wären nun noch ein wenig Kram vorhanden, den sie nach dem Tod ihrer Mutter aus deren Keller geholt hätten, nicht der Rede wert. Nun, ich bin lange im Geschäft und diesen Satz kenne ich und habe gelernt, ihm gehörig zu misstrauen. Also besuchte ich im Oktober 2021 die Enkelinnen und der vermeintliche „Kram“ entpuppte sich als ein veritabler Schatz, der nicht aus Gold, Silber und Edelsteinen bestand, sondern aus den Resten des Nachlasses von My Ullmann. Trotz ihrer vielen Umzüge hatte die Künstlerin zusammengehalten, was ihr ein Leben lang wichtig gewesen war: Fotos und Zeitungsartikel zu ihrem Schaffen, Entwürfe für Plakate, Werbung, Kostüme, Bühnen- und Wandbilder, Zeichnungen und Skizzen, einige aufschlussreiche Briefe und persönliche Dokumente sowie zwei Lampen und zwei Tische aus Zinn. Dank dieses Materials gelang es, die Stationen ihrer Karriere zu verfolgen und ihr künstlerisches Schaffen nach dem Weggang aus Wien weitgehend zu rekonstruieren. Mir war klar: Das Gefundene reichte für eine Ausstellung, aber mir war zugleich bewusst, dass eine solche Ausstellung auch unbedingt in Wien gezeigt werden müsse, wo Ullmanns Karriere begann.“
Dank Barbara Starks Vorarbeit sind wir in der Lage mit My Ullmann einer weiteren Künstlerin mit Österreichbezug eine Plattform zu geben und damit zum einen ein weiteres Beispiel weiblichen Kunstschaffens in unserem Land einem interessierten Publikum zugänglich zu machen. Zum anderen steht auch diese Künstlerin exemplarisch für ein Forschungsgebiet, dem ich mich verschrieben habe. Es ist das der fortschrittlichen Unterrichts- und Lehrmethoden, die an der Wiener Kunstgewerbeschule bereits in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzten und bis in die 1920er Jahre wirken sollten. My Ullmann stellte bereits 1927 im damaligen Museum für Kunst und Industrie (heute MAK) aus und der im MAK Archiv aufgefundene, in den 1930er Jahren im MAK Lesesaal vergessene Ausweis von 1934 belegt, dass Ullmann auch nach ihrem Weggang nach Deutschland, Wien und dem MAK verbunden blieb.
Mit all diesen Grundlagen konnte nun die erste monografische Ausstellung My Ullmanns geplant werden. Das Zusammentragen der zahlreichen Werke und Informationen kann nicht hoch genug gewürdigt werden und Barbara Stark hat dabei den Löwenanteil gestemmt. Ihrer Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass der umfangreiche Nachlass ausfindig gemacht wurde, bevor er früher oder später wohl in alle Winde zerstreut worden wäre.
Nur auf der Grundlage dieses Nachlasses ist es möglich, in dieser Ausstellung einen neuen My Ullmann Kosmos zu eröffnen – knallige Farben, dynamische Motive, futuristisch, bunt, aber auch tiefgründig. Fotos und Dokumente aus dem Nachlass zeigen ihre eigene Attraktivität und Persönlichkeit, ihr Temperament und ihre Kompromisslosigkeit, die sie in ihrer künstlerischen Arbeit einfließen lässt. Präsentiert wird ein Werk, dass sich über 40 Jahre erstreckt und neben Gemälden und gebrauchsgrafischen Arbeiten auch kunstgewerbliche Stoff-, Teppich- und Schmuckobjekte, Möbelentwürfe, Bühnen- und Kostümentwürfe, bis zu Kunst-am Bau-Projekten umfasst.
Tauchen Sie ein, in das betörende Werk dieser Frau. Wir sind stolz darauf, mit dieser Ausstellung My Ullmann endlich ein Parkett bieten zu können, auf dem sie mit ihrem bewegten Leben und ihren kinetistischen Arbeiten schon lange hätte tanzen sollen.
Die Ausstellung und der begleitende Katalog entstanden in Zusammenarbeit mit der Städtische Wessenberg-Galerie Konstanz.
MY ULLMANN. Bilder, Bühne, Kunst am Bau, herausgegeben von Barbara Stark und Lilli Hollein, mit Beiträgen von Sebastian Hackenschmidt, Barbara Lesák, Sabine Plakolm-Forsthuber, Kathrin Pokorny-Nagel, Anne-Katrin Rossberg und Barbara Stark. Deutsch, 160 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen. Städtische Wessenberg-Galerie Konstanz und MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien/Michael Imhof Verlag, Petersberg 2023. Erhältlich im MAK Design Shop und unter MAKdesignshop.at um € 24.
Die Ausstellung MY ULLMANN. Gelebter Kinetismus: Bilder, Bühne, Kunst am Bau ist bis zum 1.9.2024 im MAK Kunstblättersaal zu sehen.
Danke, dass Sie uns mitgenommen haben auf Ihre akribische Spurensuche! Jetzt freue ich mich gleich noch mehr darauf, die Ausstellung zu sehen.